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Slavisches Seminar

Jubiläumskonferenz Kommunismus autobiographisch

Universität Zürich, 29. September ‐ 2. Oktober 2011, im KO2-F-15

Kommunismus autobiographisch

„Ihre Erinnerungen sind nicht echt, nicht das, was wir als echt bezeichnen. Man hat Sie seit Ihrer Jugend einer Gehirnwäsche unterzogen“, lässt der Schweizer Schriftsteller Christian Kracht einen der Bewohner der Schweizerischen Sowjetrepublik (SSSR) in seinem antiutopischen Roman Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schattenverkünden. Zwar handelt es sich nicht um die autobiographische Aussage eines Autors, der den Kommunismus erlebt hat, sondern lediglich um dessen Vorstellung vom Leben in diktatorischen Gesellschaften. Aber dennoch ist an der Feststellung was dran. Stellt sie doch die Frage danach, wie privat und individuell das Erleben von Ideologie und wie ideologisch die private Erinnerung sein kann?

Die Organisatoren der Tagung wollen dem Umstand, dass die Produktion von autobiographischen, retrospektiven Auseinandersetzungen mit der kommunistischen, realsozialistischen, totalitären bzw. diktatorischen Vergangenheit in den letzten Jahren enorm angestiegen ist, mit einer wissenschaftlichen Konferenz Rechnung tragen. Die Bewältigung der kommunistischen Vergangenheit als individuelle Vergangenheit nimmt nicht nur in autobiographischen, nichtfiktionalen Dokumenten, sondern auch in der künstlerischen Bearbeitung immer mehr Platz ein. Uns interessiert daran zum einen der spezifische Modus der Retrospektivität, der Blick auf die Kommunistische Gesellschaft nach deren Ende – quasi der Blick auf eine vergangene, verlorene, immer weniger sichtbare Gesellschaft, die nur noch als Erinnerung existiert. Zum anderen ist für uns eine Beobachtung relevant, die von Michail Bachtin stammt und gerade auch für die Erinnerung an den Kommunismus zentral ist: „Erinnerungen beinhalten auch die auf das erinnerte Ereignis folgenden Ereignisse“. Wie also wird die kommunistische Gesellschaft mit dem Wissen um ihr Ende aus heutiger Perspektive konzeptualisiert?

Der retrospektiven Betrachtung gegenüber stehen Egodokumenten, die während der Zeit des Kommunismus entstanden sind (Tagebücher, Briefe, Autobiographien). Diese schreiben entweder aus einer unmittelbaren Gegenwart oder mit dem Blick auf einen bestimmten Abschnitt der Vergangenheit (Lagererinnerungen, Erinnerungen an den Terror, Erinnerungen an Widerstand etc.) innerhalb der noch bestehenden kommunistischen Gesellschaft. Daneben gilt es natürlich auch die Memoirenliteratur der Machthaber einzubeziehen, ob es sich nun um die Erinnerungen des entmachteten Rentners N.S. Chruščev, die er auf seiner Datschaauf Tonband sprach, oder um die von einem ghost writer-Team verfassten Memoiren L. Brežnevs handelt. In allen diesen Fällen kann die autoritäre Kultur nur aus einer Innenperspektive, die nicht überblickt werden konnte, beschrieben werden. Anders hingegen verfahren autobiographische Dokumente der Emigration und des Exils. Nur sie waren bislang in der Lage, zumindest eine territoriale Aussensicht einzunehmen.

Ausgehend vom neuen Chronotopos der Retrospektivität, der die Vergangenheit aus dem Blickwinkel ihres Endes beleuchtet, sollen vor allem folgende Aspekte diskutiert werden: Zum einen die Erinnerung an die realsozialistische Wirklichkeit (im Unterschied zur Ideologie), zum anderen die Erinnerung und Erinnerbarkeit der kommunistischen Utopie im Alltag. In welchem Verhältnis standen Alltag und Utopie, inwiefern wurde der utopische Diskurs zum Alltag? Wie wirkten sich die Strukturen und Figuren des Versprechens und des Wartens auf das alltägliche Leben aus? Desweiteren geht es uns um die Korrelation von Privatheit und Ideologie: Wie setzen Autoren aus heutiger und damaliger Perspektive das komplizierte Verhältnis von individueller und kollektiver, privater und öffentlicher Geschichte zueinander in Bezug? In welcher Sprache wird über die kommunistische Vergangenheit reflektiert? Erinnert man sich auch an die Sprache der Ideologie bzw. erinnert man sich in der Sprache der Ideologie? Welche Techniken des Vergessen, Verdrängens, des Hintersichlassens, der Nostalgie u.v.m. lassen sich in den fiktionalen und nicht-fiktionalen Erinnerungen an den Kommunismus finden? Wie stehen Erinnerung und Generationszugehörigkeit miteinander in Beziehung? Was hat es z.B. damit auf sich, dass für die jüngere Generation der Realsozialismus und die Utopie des Kommunismus ausschliesslich zu ihrer Kindheit gehören? Wird der Kommunismus dadurch selbst zu einem Phänomen von Kindheit, zu einer Phase, die nicht erwachsen geworden ist? Neben diesen insbesondere die Autobiographie- und Diktaturenforschung betreffenden Fragestellungen möchten wir jedoch auch allgemeine, metawissenschaftliche Aspekte in den Vordergrund rücken: Wie korrelieren zeitgenössische bzw. retrospektive kulturwissenschaftliche Erforschung von Diktaturen und Selbstforschung? Oder anders gefragt: Inwiefern wird durch die autobiographische Selbstforschung die historische und kulturwissenschaftliche Forschung mitbestimmt und durch welche historischen und kulturwissenschaftlichen Erkenntnisse über Ideologie, Diktatur, autobiografisches Schreiben werden die autobiographischen Auseinandersetzungen methodisch, begrifflich und erkenntnistheoretisch aus der privaten Sphäre auf eine schon präfigurierte und diskursivierte Ebene gerückt?

Communism seen through Autobiography

“Your memories are not real, they are not what we call real. You have been submitted to brainwashing since your youth.” This sentence is said by one of the inhabitants of the Swiss Soviet Republic (SSSR) in the dystopic novel “Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten” by the Swiss writer Christian Kracht. Of course this is not an autobiographic statement made by an author who lived under communism, but only a statement showing how Kracht imagines life in dictatorial societies. But this statement is nevertheless true in the way it raises the question how private and individual the experience of ideology and how ideological individual memory can be.

By organizing this conference, we want to take into account that the production of the autobiographic, retrospective debate about the communist, socialist, totalitarian resp. dictatorial past has considerably grown over the last years. Managing communist past as an individual past occupies more and more space not only in autobiographic, non-fictional documents, but also in artistic production. Above all we are interested in the specific mode of retrospectivity, which means to look at communist society after its end – the look at a society which is lost, which is less and less visible and exists only in memory. An observation by Michail Bachtin is also relevant for us as it is central to memories about communism: “Memories also include the events which happened after the remembered events took place.” So how is communist society conceived from a current perspective, which is aware of its end?

By contrast to retrospective consideration, Ego-documents (diaries, letters, autobiographies) were still written under communism. They describe the instant present or consider a specific part of the past (memories of concentration camps, terror, resistance etc.) while communist society still exists. Memories of the powerful must also be taken into account, as for example the memories power-deprived, retired N.S. Chruščev, which tape-recorded on his dača, or L. Brežnevs memories which were written by a team of ghost-writers. In these cases, authoritarian culture can only be described from an inner perspective, which could not be overseen. On the other hand autobiographic documents written by emigrees are until now the only texts which occupy an at least territorial outsider’s view.

We wonder in which way the retrospective view or the retrospective way of writing differs from the one practiced behind or outside the iron courtain. How are smaller or bigger parts of communist experience integrated into the whole of a biography and into self-perception? How do present and past authors conceive the complicated relationship between individual and collective, private and public history? How does contemporary resp. retrospective research in cultural or communist studies correlate with self-enquiry? Which techniques of forgetting, repressing, letting-behind, nostalgia etc. can be found in fictional and non-fictional memories of communism? How do memory and generational affiliation relate? What about the fact that for example for the younger generation communism is part only of their youth? Does communism itself turn into a childhood phenomenon, into a stage, that never turned adult? In which language is communist past reflected upon? Does one remember the language of ideology or does on remember in the language of ideology? Which artistic devices does the individual survival of political history make possible?

Коммунизм сквозь призму автобиографии.

„Ваши воспоминания – неистинны; они – не то, что, мы определяем в качестве подлинного. С юных лет вы подвергались промыванию мозгов“, - провозглашает швейцарский писатель Кристиан Крахт устами одного из героев своего антиутопического романа «Я буду здесь, на солнце и в тени», жителя Швейцарской Советской Республики (ШСР). Хотя речь здесь идет не об автобиографическом высказывании автора, испытавшего на себе коммунизм, а лишь о том, как автор представляет себе существование человека в условиях диктаторских режимов, тем не менее в авторском высказывании назревает постановка вопроса. Суть его заключается в том, насколько личным и индивидуальным может быть опыт переживания идеологии, а также насколько идеологичны личные переживания.

Принимая во внимание тот факт, что за последние годы в общей массе книжной продукции невероятно возросло число публикаций, освещающих автобиографические ретроспективные дискуссии с коммунистическим, реалсоциалистическим, тоталитарным или диктаторским прошлым, организаторы, устраивая данную конференцию, не только отдают дань вышеуказанному явлению, но и хотят, тем самым, внести свой вклад в его научное изучение. Преодоление коммунистического прошлого как прошлого индивидуального занимает все больше места не только в автобиографических, невымышленных документах, но также и в художественных произведениях. При этом нас интересует, с одной стороны, специфический модус ретроспективности, взгляд на коммунистическое общество после его конца, нечто вроде взгляда на ушедшее, утерянное, все менее осязаемое общество, существующее еще пока, но лишь в форме воспоминания. С другой стороны, для нас релевантно берущее свои истоки в творчестве Михаила Бахтина наблюдение, которое как раз и занимает центральное место в воспоминаниях о коммунизме: „При воспоминаниях мы учитываем и последующие события (в пределах прошлого), т.е. воспринимаем и понимаем вспомянутое в контексте незавершенного прошлого.“ Иными словами, каким образом с позиций современности концептуализуется коммунистическое общество, находящееся в стадии осознания своего конца.

В рамках ретроспективного подхода рассматриваются эго-документы, созданные в период существования коммунизма (дневники, письма, автобиографии). Они написаны либо с позиций непосредственной современной ситуации, либо являют собой взор, брошенный автором, все еще живущим в коммунистическом обществе, на определенный отрезок коммунистического прошлого (лагерные воспоминания, воспоминания о терроре, воспоминания о восстаниях и т.д.) Наряду с этим, естественно, необходимо учитывать и мемуарную литературу, созданную носителями власти, будь то воспоминания лишенного власти пенсионера Н. С. Хрущева, продиктованные им на своей даче на магнитофон, или мемуры Л. Брежнева, написанные группой профессиональных журналистов. Во всех этих случаях авторитарная культура может быть описана лишь исходя из внутренней перспективы, всецело обозреть которую невозможно. Совсем иначе функционируют автобиографические документы, написанные эмигрантами и депортированными. До сих пор лишь в пределах данных текстов авторам удавалось осуществить, как минимум, охват внешней проекции.

Мы ставим вопрос о том, как ретроспективный взгляд или ретроспективное письмо отличаются от таковых, функционировавших в ситуации непосредственной современности в пределах и за пределами «железного занавеса»? Каким образом малые и большие этапы коммунистического опыта вписываются в Общую биографию и представление о себе? Как авторы, в свете современной и исторической перспектив, находят точки пересечения между индивидуальной и коллективной, частной и общественной историей? Каково соотношение между современным или ретроспективным культурологическим изучением коммунизма и самоисследованием? Какие техники забвения, вытеснения, отчуждения, ностальгии и т. д. обнаруживаются в вымышленных и невымышленных воспоминаниях о коммунизме? Как соотносятся между собой авторское воспоминание и принадлежность автора к определенному поколению? Что означает тот факт, что для более молодого поколения коммунизм связан исключительно с периодом собственного детства? Оказывается ли вследствие этого сам коммунизм феноменом детства, фазой, которая так и не переросла в фазу взросления? На каком языке происходит осмысление коммунистического прошлого? Рождаются ли воспоминания на языке идеологии или они также рождаются и о языке идеологии? Какие художественные процессы становятся возможными благодаря индивидуальным переживаниям политической истории?

Weiterführende Informationen

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